NGN-2: Negativ gepfeilter Nurflügel Nr. 2

Seit dem Bau und dem Bericht zum NGN-1 ist schon einige Zeit vergangen. Das Thema negativ gepfeilte Nurflügel hat mich jedoch seither nicht mehr losgelassen. In der Zwischenzeit habe ich weiter an meinen Entwürfen gearbeitet und konnte die Flugeigenschaften meiner vorgepfeilten Modelle weiter verbessern. In diesem Bericht möchte ich den Nachfolger vom NGN-1 vorstellen, der bereits 2014 seinen Erstflug hatte und schon an mehreren IGNF-Treffen dabei war. Einen gut klingenden Spitznamen hat auch er bis heute nicht erhalten, deshalb nennen wir ihn bei seinem Platzhalternamen NGN-2.

 

  

 

Lehren aus der ersten Prototypengeneration:

 

Der NGN-2 entstand aus den Lehren, welche ich aus den Versuchen mit meinen ersten beiden Versuchsmodellen Proto-1 und NGN-1 gezogen habe. Diese beiden Modelle waren, wie im Bericht zum NGN-1 beschrieben noch recht dürftig im Flugverhalten (schlechtes Abrissverhalten) und auch konstruktiv gab es noch Luft nach oben (hohes Abfluggewicht und viel Trimmblei). Mit den gesammelten Erfahrungen aus dieser ersten Prototypengeneration war dann der Zeitpunkt gekommen einen verbesserten Nachfolger zu entwerfen.

Die Flügel des NGN-1 wählte ich damals bewusst so einfach wie möglich. Das heisst sie hatten durchgehend das gleiche Flügelprofil, keine Verwindung und nur eine schwache Zuspitzung. Da sich bei meinen Recherchen die spärlichen Quellen in der Literatur und im Internet zur Auslegung für negativ gepfeilte Nurflügel teils widersprachen (negative bzw. positive Verwindung zum Flügelende), sah ich darin die beste Ausgangslage für einen ersten Versuch.

In der Praxis erwies sich dieser sehr einfach ausgelegte Flügel als gar nicht mal so schlecht. Zu bemängeln war hauptsächlich das schlechte Abriss- und Auffangverhalten. Die für meinen Geschmack zu hohe Mindestfluggeschwindigkeit beider Modelle, unabhängig vom Abfluggewicht, war ebenfalls noch verbesserungswürdig.

Am Proto-1 testete ich im Vorfeld noch verkleinerten Steuerklappen, die vorher über die gesamte Flügelspannweite, mit Trennung bei Halbspannweite, verliefen. Die verkleinerten Klappen mit jeweils der Länge eines Viertels der Flügelhalbspannweite (bündig an der End- und Wurzelrippe) erwiesen sich als ausreichend. Ich entschied mich auch definitiv dazu nur noch die Innenklappen als Höhenruder zu verwenden und nicht mehr alle Klappen zusammen. Die Querruder waren bei allen Modellen immer nur auf den Aussenklappen. Zu Vergleichszwecken mischte ich die Querruderklappen manchmal noch per Schalter zum Höhenruder dazu, was ausser einem grösseren Höhenverlust in engen Kurven kaum einen Unterschied für die Steuerbarkeit machte. Minder wendig wird das Modell dadurch nach meiner Auffassung nicht.

 

 

Strömungsabriss:

 

Das gravierendste Problem meiner ersten Generation Vorgepfeilter war das Strömungsabrissverhalten. Dies führte in sicher neunzig Prozent der Strömungsabrisse zu einem nicht mehr kontrollierbaren Trudeln und Absturz. Das Modell aufzufangen war in diesen Situationen nicht mehr möglich.

Typischerweise beginnt der Strömungsabriss bei nicht verwundenen Flügeln mit negativer Pfeilung bei der Wurzelrippe und verteilt sich von da weg über die Hinterkante über die gesamte Tragfläche. Somit reisst die Strömung als erstes an der Stelle ab, an der sich die Höhenruder-Klappen befinden. Der Pilot hat dadurch keine Chance mehr die Situation mittels „Tiefe geben“ zu entschärfen. Durch den abnehmenden Auftrieb im Heckbereich bäumt sich das Modell nur noch zusätzlich auf und der Strömungsabriss schreitet weiter fort.

 

Um das Abrissverhalten zu verbessern, griff ich auf eine Überlegung von IGNF-Kollegen Stefan Engel zurück. Sein Vorschlag war es die Flügel durch lokale Erhöhung des Anstellwinkels so zu verwinden, dass man ein Strömungsabriss gezielt an einer Stelle zuerst eintreten lässt. Konkret dort wo der angreifende Auftrieb (t/4 Linie) auf dem Schwerpunkt zu liegen kommt und beim Wegfallen keine Drehung um die Querachse verursacht würde, da dort der Hebelarm gleich null ist und somit das resultierende Drehmoment verschwindet. So würde das Modell sich nicht mehr aufbäumen, sondern zuerst anfangen abzusacken. Dank der an den Flügelenden und im Wurzelbereich noch immer anliegenden Strömung wären sämtliche Klappen noch wirksam und der Pilot hat die Möglichkeit die Fluglage zu korrigieren.

 

Am Proto-1 überprüfte ich diese Theorie kurzerhand mittels fix ausgefahrenen Klappen (Flaps), die einen ähnlichen Effekt erzielen sollten. Je nach Ausschlag der Flaps verändert sich das Flügelprofil an den entsprechenden Stellen des Flügels, wodurch ein Strömungsabriss, relativ zum restlichen Flügel, beschleunigt respektive verzögert werden kann. Es stellte sich heraus, dass die Variante mit nach oben ausgefahrenen Flaps das Flugverhalten kurz vor dem Strömungsabriss und im Auffangen nachher deutlich verbesserte.

 

 

 

Entgegen den Erwartungen machten die nach unten gestellte Flaps, die nach der ursprünglichen Idee ein Strömungsabriss im Bereich des Schwerpunkts beschleunigt hätten, das Modell deutlich bockiger und mühsamer zum Fliegen. Im Vergleich zur anderen Variante war ausserdem viel mehr Höhenrudertrimmung nötig, um das Modell in der Luft zu halten. Zur Überprüfung dieser Beobachtungen durch eine effektive Verwindung der Flügel anstelle der Flaps entstand ein neuer schnell und einfach- gebauter Prototyp (Proto-2). Umgesetzt wurde die Variante, die sich bei den Versuchen mit den Flaps bewährt hatte. Das heisst, die Flügel wurden beim Schnittpunkt von t/4-Linie und Schwerpunkt negativ verwunden.

Der zweite Prototyp (Proto-2) war mit 2 Metern Spannweite grösser als sein Vorgänger Proto-1 (1.4 Meter) und verfügte ausserdem über leicht zugespitzte Flügel. Dieses Modell bewies erneut zufriedenstellende Flugeigenschaften und gutes Abrissverhalten, worauf ich all seine Eckdaten unverändert für den Bau des NGN-2 in stabilerer Holzbauweise übernahm.

Natürlich wirkt sich diese Flügelverwindung auch auf die Zirkulationsverteilung aus, die dadurch nicht mehr der angestrebten elliptischen Form entspricht. Die Delle in der Zirkulationsverteilung, welche durch die lokale negative Verwindung entstand, ist in der Abbildung unten deutlich erkennbar. Die Tragflächen haben folglich nicht den kleinsten induzierten Widerstand, fürs Erste wurde dies aber so akzeptiert.

 

 

 

Bau des NGN-2

 

Bau der Flügel

 

Beim Bau der Flügel galt es hauptsächlich massiv leichter zu bauen als beim deutlich zu schweren Vorgänger NGN-1. Die Sandwichbauweise hielt ich bei, allerdings mit folgenden Massnahmen zur Gewichtsreduktion:

Für die Balsabeplankung reduzierte ich die Dicke von 2 auf 1.5 mm. Zusätzlich wählte ich bewusst die leichteren weichen Balsabrettchen aus. Selbst mit Hartgrund-Lackierung wogen diese bei derselben Fläche und Dicke nur knapp halb so viel wie die härtesten Brettchen meines Balsavorrats. Für die Glasseidenverstärkung zwischen Styro-Kern und Beplankung verwendete ich nur noch 25er (g/m^2) Seide und mit dem Klebstoff versuchte ich sparsamer umzugehen.

 

 

Bau des ersten Rumpfes

 

Beim NGN-1 hatte ich das Problem, dass ich trotz des langen Rumpfes noch viel Blei in die Nase packen musste, um den Schwerpunkt auf die richtige Position zu bringen. Der neue Rumpf wollte ich deshalb so konstruieren, dass die Trimmung nur durch das Gewicht des Motors, des Reglers und des Akkus ohne zusätzliche Bleigewichte erreicht werden kann. Die Feintrimmung sollte nur noch durch das Verschieben des Akkus möglich sein. Der Akku müsste ungefähr in der Mitte zwischen Motor und Schwerpunkt zu liegen kommen, um notfalls noch genügend Platz zum Vor- oder Zurückschieben zu haben.

Zuerst baute ich die Flügel im Rohbau fertig, da deren Gewicht entscheidend für die Trimmung waren. Der Schwerpunkt der Flügel allein liegt nämlich hinter dem Schwerpunkt des fertigen Modells und muss durch das Gewicht des ganzen Rests des Modells ausgeglichen werden. Da das Gewicht und der Massenmittelpunkt der Flügel vorgegeben waren, konnte die Gewichtsverteilung nur noch durch die Dimensionierung des Rumpfes und der Positionierung von schweren Komponenten wie Motor, Regler und Akku (oder Blei) beeinflusst werden. Es war deshalb entscheidend, wie lange der Rumpf gebaut wurde, da die elektronischen Komponenten in der Rumpfspitze so einen grösseren oder kleineren Hebelarm erhielten.

Die dafür notwendige Rumpflänge bestimmte ich wie folgt. Die Flügel montierte ich an eine Holzlatte, welche ich relativ zu den Flügeln so positionierte, dass deren Mitte auf dem zuvor berechneten Schwerpunkt des Modells zu liegen kommt. Dadurch lagen die Schwerpunkte der Holzlatte und des Modells auf demselben Punkt, wodurch das Gewicht der Holzlatte die Ausbalancier-Prozedur nicht beeinflussen sollte.

 

Dieser Aufbau wurde anschliessend auf dem Schwerpunkt des Modells auf einer Metallstange durch die Mitte der Holzlatte aufgebockt. In eine am Ende der Holzlatte angeklebten Kartonwanne mit bekanntem Abstand zum Schwerpunkt füllte ich so viel Blei, bis der ganze Aufbau ausbalanciert war. Das Gewicht des Bleis multipliziert mit dessen Abstand zum Schwerpunkt entspricht dem Drehmoment, dass die Flügel bezüglich des Schwerpunktes ausüben und vom Motor, Regler und Akku kompensiert werden müssen. Anhand der bekannten Massen von Motor, Regler und Akku konnte ich nach dem Hebelgesetz deren Abstand zum Schwerpunkt berechnen.

 

 

Das Gewicht des Rumpfes selbst erzeugt natürlich auch ein Drehmoment bezüglich des Schwerpunktes. Ich nahm aber an, dass dieser Einfluss vernachlässigbar klein ist. Grund dafür war, dass beim NGN-1 und meinen anderen negativ gepfeilten Prototypenfliegern die Schwerpunkte der Modelle praktisch immer in der Mitte der Rümpfe zu liegen kamen. Dadurch wird der Hebelarm des Rumpfschwerpunktes zum Modellschwerpunkt und somit auch dessen Drehmoment verschwindend klein.

Zufälligerweise ergab die Berechnung eine Rumpflänge, die praktisch identisch mit der des NGN-1 war. Auch äusserlich baute ich den Rumpf ähnlich zum Vorgängermodell auf. Der einfache Kastenrumpf ist in seinem Aufbau nicht weiter speziell, deshalb gehe ich hier nicht weiter auf dessen Bau ein.

 

 

Bau des zweiten Rumpfes

 

Nachdem das Modell rund drei Jahre im Einsatz war, wollte ich es optisch ein wenig aufwerten und seinen klobigen eher unansehnlichen Rumpf, der damals möglichst schnell gebaut werden sollte, durch einen Neuen ersetzen. Für die Konstruktion der Haube und der Form des vorderen Rumpfteils (Nase bis Hinterkante Haube) orientierte ich mich am Tigerhai von Wolfgang Werling, dessen Optik und grosszügige Platzverhältnisse mich überzeugten. Das Heck liess ich spitz zulaufen. Der ganze Rumpf sollte in der Seitenansicht tropfenförmig und somit möglichst aerodynamisch geformt sein. Im Heckbereich bei der Flügelsteckung wollte ich den Rumpf allerdings nicht zu filigran bauen und liess dort den Rumpf so hoch wie möglich. Zur Verstärkung dieser Rumpfsektion und zum passgenauen Einbau der Steckungsrohre und der Flügelsicherung (alle mussten exakt auf die bereits fertigen Flügel passen) baute ich die unten abgebildete zusammensteckbare Frästeilkonstruktion aus Sperrholz ein.

 

 

 

Für die Rumpfwände verwendete ich 5mm dickes Balsa und sämtliche Spanten und Frästeile für die Kabinenhaube bestanden aus ebenfalls 5mm dickem Sperrholz.

Für das Seitenruder klebte ich drei Lagen 2mm dickes Balsaholz aufeinander, wobei die Faserrichtung der mittleren Schicht um 90° zu den äusseren gedreht war. Diese Variante war deutlich stärker als die aus Balsaleisten zusammengesetzte Version beim ersten Rumpf und durch gewichtsreduzierende Löcher war sie nicht mal sonderlich viel schwerer. Bei der Optik des Seitenruders wollte ich ebenfalls etwas Neues ausprobieren und wählte eine stark verrundete Form, wie man sie von Oldtimer-Segelflugzeugen kennt.

 

 

Flugeigenschaften

 

Beim Flugverhalten gab es keine grossen Überraschungen. Das Abrissverhalten, war wie im Vorfeld an den einfach gebauten Prototypen ausgetestet, absolut problemlos. Wird im Geradeausflug mässig am Höhenruder gezogen, nimmt das Modell seine Nase leicht rauf, verlangsamt und kippt schlussendlich über die Querachse nach vorne und leitet selbst einen Auffangbogen ein. Das angestrebte Ziel, das Modell leichter als sein Vorgänger (NGN-1) zu machen, konnte ebenfalls erreicht werden. Von knapp 3kg konnte das Abfluggewicht auf 2kg reduziert werden. Fürs Erste ausreichend, in Zukunft soll da aber noch mehr gehen.

Zu bemängeln ist, dass das Modell im steilen Kurvenflug zu viel an Höhe verliert. Gerade beim Thermikkreisen ist diese Eigenschaft sehr kontraproduktiv, wodurch die eingebaute E-Thermik viel öfter als gewünscht eingesetzt werden muss. Beim nächsten Modell werde ich diesem Punkt auf jeden Fall ausführlicher nachgehen.

Alles in allem macht der Flieger sehr viel Spass und ist ein grosser Schritt vorwärts im Vergleich zu seinem Vorgänger. Ihm werden sicher noch weitere überarbeitete Modelle folgen.

 

 Flugvideos zu den im Bericht erwähnten Modellen sind unter folgendem Link auf YouTube zu sehen:     

Auslegungsansätze und Einsatz in der manntragenden Fliegerei

 

Stefan Kettner, 2014/2021