„NGN-1“

 

Die Idee einen negativ gepfeilten Nurflügel zu konstruieren, geisterte mir schon einige Zeit im Kopf herum. Wäre eine solche Flügelgeometrie doch ideal für einen Nurflügel: mehr Auftrieb, höhere Agilität und bessere Steuerbarkeit bei niedrigen Geschwindigkeiten. Zweifel an der Flugstabilität hielten mich bisweilen davon ab, ein negativ gefpeilten Nurflügler zu bauen. Letzten Herbst sagte ich mir dann: „Pfeiff drauf! Bau einfach mal einen und schau wie der wirklich fliegt.“ So kam das ganze Projekt ins rollen.

In einem ersten Schritt baute ich aus klebebandverstärkten Styrokernen als Flügel, einem Vierkant-Hartholz als Rumpf und Servos/Lenkstangen etc. aus einem abgestürzten Schaumstoffflieger einen ersten unmotorisierten Prototypen. Idee war es ohne viel Zeit- und Geldaufwand ein fliegbares Modell zu haben, an dem ich einen ersten Eindruck der Flugeigenschaften von negativ gepfeilten Modellen bekommen konnte. Schon beim Erstflug zahlte sich dies aus. Keine fünf Meter in der Luft bäumte sich das Modell auf, rollte über den rechten Flügel ab und knallte senkrecht in den Boden. Auf Ruderausschläge reagierte es schlecht, der Schwerpunkt war trotz 9% Stabilitätsmass einfach zu schwanzlastig. Dank der Billigbauweise war das Modell schnell repariert und noch am gleichen Tag wieder in der Luft. Flug für Flug setzte ich den Schwerpunkt weiter nach vorne, bis sich bei etwa 13% Stabilitätsmass ein brauchbares  Flugverhalten einstellte.

Da nun der Prototyp einigermassen flog, bekam er eine Motorisierung und die Flugversuche konnten beginnen. Auffallend war, dass das Modell mit und ohne Motor wie auf Schienen geradeaus flog. Eigentlich hätte ich mit mehr Richtungsstabilitätsproblemen gerechnet. Auf Ruderausschläge sprach es schnell an und war dementsprechend wendig. Als extrem schlecht stellte sich sein Abrissverhalten heraus. Flog es zu langsam in der Kurve oder im Landeanflug, drehte es über einen Flügel ab und stürzte trudelnd, zwar beeinflussbar mit Ruderausschlägen aber nicht mehr auffangbar ab. Allerdings passierte dies bei solch tiefen im Normalfall nie erreichten Geschwindigkeiten, dass ich es für vertretbar hielt ein richtiges Modell aus Balsa zu bauen. Mit diesem konnte man dann auch härtere Manöver fliegen, bei welchen die Styroflügel des Billigmodells brechen würden.

 

Dieses „richtige“ Modell ist der NGN-1 gebaut in Zusammenarbeit mit meinem Vater. Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass es das erste Modell für meinen Vater und mich ist, für das wir selber Balsa beplankte Styroporkernflügel bauten. Fehlende Erfahrung im Bau solcher Flügel führte zum Übergewicht des Modells, aber dazu später mehr.

Da der Schwerpunkt geometrisch bedingt weit vorne liegt, musste auch der Rumpf dementsprechend lang werden. Übermässiges Trimmblei konnte so vermieden werden. Mein Ziel war es die Trimmung allein durch verschieben des Akkus zu bewerkstelligen. Das Seitenruder setzte ich so weit nach vorne wie es ging und auch der Rumpf hielt ich im hinteren Teil so kurz wie möglich, um allfälliges Blei in der Nasenspitze einzusparen.

 

Die Flügelkerne sind aus blauen Styropor, beplankt mit 2mm Balsa. Dazwischen wegen Unachtsamkeit eine Lage 160er statt 80er Glasgewebe. Zum Verkleben verwendeten wir aufschäumenden PU-Schaumleim. Er trocknet schnell, ist im ausgetrockneten Zustand gut zu schneiden und zu verschleifen und hält ausreichend. Leimauftragen nach der Methode „fürs erste Mal lieber genug als zu wenig“ und die Verwendung der härteren und dementsprechend schwereren Balsabrettchen machten die Flügel einiges schwerer als geplant. Ansonsten sind wir aber für das erste Paar Flügel sehr zufrieden.

 

Das Übergewicht machte sich bei ersten Startversuchen auch gleich bemerkbar. Die auf 1.5kg Startgewicht ausgelegte Motorisierung hatte keine Chance das 2.8kg schwere Modell auf Höhe zu bringen. Eine stärkere Motorisierung musste also her! Mit leistungsfähigerem Motor und 4 statt 3 Zellen Lipo gings dann richtig los. Pfeilgeradeaus zog der Motor das Modell in einem 30° Winkel auf Höhe. Trotz des auf 14% Stabilitätsmass ausgewogenen Schwerpunkts, flog es im Gleitflug schwanzlastig. Merkwürdig: ist die Pfeilung doch nur 3° grösser als beim Versuchsmodell. Vernünftig fliegbar wurde es bei 16% und angenehm fliegbar bei 19%, wo ich den Schwerpunkt dann gelassen habe. Im Grossen und Ganzen aber verhält sich der NGN-1 wie sein kleiner Vorgänger aus Styropor. Durch die höhere Flächenbelastung fliegt er halt einfach viel schneller. Die Vierklappen-Steuerung reagiert gut. Höhenruder innen und Querruder aussen für den jeweils gröstmöglichsten Hebelarm. Beim nächsten Modell werden die Klappen aber nicht mehr über die gesamte Spannweite verlaufen. Ziehen des Höhenruders in der Kurve bremste das Modell ab und vernichtete viel Auftrieb, was es absacken liess. Am Styropormodell hat sich gezeigt, dass es auch mit nur noch halb so grossen Quer- und Höhenrudern ausreichend steuerbar ist.

 

Zum Thema Schwerpunkt:

Das Stabilitätsmass schien mir stark von der Pfeilung abzuhängen. Grob basierend auf der zeichnerischen Schwerpunktbestimmung konnte ich ein Algorithmus herleiten, der aus dem üblichen Stabilitätsmassbereich von 5-12% umrechnet, welche Werte für negativ gepfeilte Nurflügel brauchbar sind. Für meine Modelle mit -10° und -13° Pfeilung waren die Resultate der Umrechnung bereits vergleichbar mit den erflogenen Werten. Um die Resultate dieser Berechnung zu plausibilisieren, braucht es allerdings noch mehr Vergleichswerte. Vor allem die errechneten Werte im Pfeilungsbereich -15 bis -30° scheinen mir zu hoch zu sein.

 

Diskussion:

Die ganze Aktion hat sich unterm Strich sehr gelohnt. Die gewünschten Flugeigenschaften sind zwar noch nicht erreicht, der NGN-1 zeigt aber trozt vielen Mängeln grosses Potenzial und sein Flugbild ist in meinen Augen einmalig. Eine Skizze stelle ich zur Verfügung, vom Bau rate ich wegen des schlechten Abrissverhaltens ab. Momentan teste ich am NGN-1 noch Modifikationen aus, die unter anderem dieses Problem lösen sollen. Sämtliche Erfahrungen lasse ich dann in eine verbesserte Version einfliessen, die dann zum Nachbau geeignet sein sollte.

                                    
       
       
       

2013, Stefan Kettner